Eröffnungsrede von Dino Schosche: „Wir müssen aktiv werden!“

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Wienerinnen und Wiener,

ob mit oder ohne Migrationshintergrund,

Mit über 200 Programmpunkten liefern wir mit der „Wiener Integrationswoche“ zum 6. Mal den ultimativen Beweis dafür, dass Österreich ein Einwanderungsland ist, dass wir in einer multikulturellen Gesellschaft leben und, dass die Menschen in Wien, egal welcher Herkunft, mehr verbindet als trennt.

In den nächsten 11 Tagen beweisen und zeigen wir, das was eigentlich in Wien und Österreich seit langem selbstverständlich sein sollte: Vielfalt, Mehrsprachigkeit, und Weltoffenheit. Leider – und das zeigen zahlreiche Umfragen – ist das nicht für jeden selbstverständlich. Denn laut einer der letzten Umfragen empfinden 43% das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund als eher oder sehr schlecht. Und ganze 56% finden, dass das Zusammenleben zwischen MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen eher bzw. sehr schlecht funktioniert.

Vor ein paar Tagen hat London den ersten muslimischen Bürgermeister bekommen. Natürlich sollten auch in diesem Fall das Parteiprogramm und die Ziele im Vordergrund stehen und nicht die Religionszugehörigkeit. Aber es ist trotzdem ein wichtiges Zeichen, vor allem wegen der immer stärker werdenden anti-muslimischen Stimmung in Europa. Sadiq Khan ist stolz darauf, dass London sich für die Hoffnung und nicht für die Angst, für die Einheit und nicht für die Trennung entschieden hat. Gegen die Furcht, und gegen die Spaltung. Denn Furcht macht uns nicht sicherer, sie macht uns nur schwächer. In ein paar Tagen werden wir mit großer Wahrscheinlichkeit Norbert Hofer als Bundespräsidenten haben. Einen Präsidenten, aus einer Partei, die seit Jahrzehnten Angst und Hass verbreitet. Einen Kornblumenträger, der eine separate Sozialversicherung für Gastarbeiter und Arbeitsmarktvermittlung nur für Österreicher verlangt.

Und obwohl ich als jemand der kein Wahlrecht in Österreich besitzt, ein Alibi für diese Entscheidung haben werde, wird mich das leider nicht weniger besorgt und weniger traurig machen. Denn ich habe in Österreich eine Familie und eine Firma gegründet. Analog dazu, was der Londoner Bürgermeister gesagt hat, wird sich Österreich am 22. Mai mit großer Wahrscheinlichkeit gegen die Hoffnung und für die Angst und Trennung entscheiden. Für die Furcht und für die Spaltung. Und das, liebe Freundinnen und Freunde, wird uns mit Sicherheit schwächer machen.

Durch billige Parolen und Vorurteile gegen Migrantinnen und Migranten entsteht in Österreich ein Klima, das eine vernünftige Diskussion und Lösungen fast schon unmöglich macht. Ein Klima, das einen Präsidenten Hofer möglich macht. Ein Klima, in dem Politiker mit Hassparolen gegen Flüchtlinge punkten.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der man sich anscheinend mit Menschenfeindlichkeit politisch profilieren kann. Und nicht nur die Politik, auch ein Teil der Medienlandschaft versucht und schafft es, mit Hass Auflagen zu verkaufen. Medien wie Krone oder Österreich versuchen immer wieder, die Anzahl der Leserinnen und Leser mit absichtlichen Falschmeldungen zu vergrößern. Und noch schlimmer: sie werden noch mit Steuergeldern und Inseraten der öffentlichen Stellen dabei unterstützt. Überschriften wie „Flüchtlinge werfen sich vor Autos“ oder „90% der Flüchtlinge sind Wirtschafts-Migranten“ verleiten Hobby-Hasser und Langzeit-Verachter dazu, unmenschliche Kommentare zu posten. Durch die aktuellen politischen Geschehnisse in Österreich fühlen sie sich in ihrer Verachtung bestätigt. So wird Hass immer offener und Diskriminierung immer salonfähiger.

Um den Migrationsforscher Professor Klaus Badee zu zitieren: Das Niveau der Debatte um Islam, Zuwanderung und Integration ist auf Fußhöhe. Man muss aufpassen, dass man nicht drauftritt. Sie besteht zudem aus intellektuellen Ersatzleistungen, statt sich pragmatisch um die Kernaufgabe zu kümmern: Wir müssen lernen, mit kulturellen Unterschieden zu leben, und zwar auf beiden Seiten.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

noch immer empfinden vielen Menschen Zuwanderung ausschließlich als Bedrohung von außen und Integration als Risiko des Inneren. Menschen mit Migrationshintergrund werden zu oft daran erinnert, dass sie anders sind und dass sie mehr leisten müssen, nur weil sie an einem anderen Ort geboren wurden. Sie verdienen weniger für die gleiche Arbeit, haben schlechtere Bildungschancen, werden am sozialen Aufstieg gehindert und genießen keine gesellschaftliche Anerkennung. Unter solchen Bedingungen ist Integration ziemlich schwierig. Wir sollen daher nicht nur die Anpassung verlangen oder mit Strafen und Kürzungen drohen, wie es unser Integrationsminister gerne tut, sondern gemeinsam eine gesellschaftliche Atmosphäre schaffen, in der Integration selbstverständlich ist. Wir sollen Werte nicht lehren sondern vorleben. Und wir sollen vom ewigen Nebeneinander zum Miteinander kommen. Der Erfolg der Rechtspopulisten bei der Präsidentschaftswahl in Österreich ist ein Weckruf für alle, die sich für ein friedliches Zusammenleben und eine offene multikulturelle Gesellschaft einsetzen. Wir brauchen eine Politik, die sich klar zur Vielfalt bekennt und sich um die Gleichberechtigung aller in Österreich lebenden Menschen kümmert.

Wir dürfen diesem Trend in Europa nicht tatenlos zusehen. Wer etwas anderes will, der muss dringend aktiv werden. Und wenn wir gemeinsam aktiv werden, werden wir Erfolg haben. Wir müssen uns auch gemeinsam gegen Frauenfeindlichkeit und gegen Radikalisierung jeglicher Art einsetzen. Wien ist zwar die sicherste Großstadt der Welt, aber auch wir haben Probleme. Wir müssen uns Konflikten, kulturellen, ebenso wie sozialen, stellen und sie friedlich austragen, ohne dabei ganze Gruppen zu stigmatisieren. Wir dürfen dieses Feld nicht den Populisten und Rassisten überlassen und gerade deshalb müssen wir darüber sprechen und selbst aktiv werden.

Liebe Freundinnen und Freunde,

60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Diese Menschen flüchten nicht vor geringen Löhnen sondern vor Terror und Bomben. Sie müssen ihre Heimat verlassen, ihre Familien zurücklassen und da ist für mich schon lange eine Obergrenze erreicht. In unserer Gesellschaft muss der Mensch im Mittelpunkt stehen, egal woher der Mensch stammt. Deshalb brauchen wir eine menschliche Flüchtlingspolitik und das ist nicht nur das was wir wollen, es ist auch unsere Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen. Unabhängig davon, wie die populistische Reaktion darauf ist. Und unabhängig davon, wie die Umfragewerte stehen. Dazu brauchen wir Solidarität und Mut. Dass dieses Thema eines der zentralen Anliegen ist, zeigen auch die Nominierungen beim MigAward 2016. Denn heute Abend werden zahlreiche Projekte und Persönlichkeiten vorgestellt, die sich tagtäglich dafür einsetzen, das solidarische und humanitäre Gesicht Österreichs zu zeigen. Dafür bin ich als ehemaliger Flüchtling dankbar. Denn ich hatte das Glück, als ich 1993 als Flüchtling nach München kam, unterwegs keine Zäune zu sehen und niemanden der die Menschen gezählt hat. Stattdessen wurde ich als Mensch und Mitbürger empfangen. Auch die Nominierung von Sebastian Kurz und der Bundesregierung für die Sackgasse 2016 zeigt deutlich, dass die menschenwürdige Politik jenen wichtig ist, die vor kurzem oder vor ein paar Jahrzehnten nach Österreich gekommen sind. Gerade diese Menschen sitzen in unserer Jury.

Apropos Jahrzehnte: Heuer feiern wir 50 Jahre jugoslawische Gastarbeiter in Österreich. Wir riefen Gastarbeiter und es kamen Menschen. Diese Floskel gilt seit langem als Beweis dafür, dass Österreich genauso wie Deutschland aus falscher Absicht mit den Ankömmlingen falsch umgegangen ist. Das ist ein Problem, das lange verdrängt wurde. Gastarbeiter wurden in Massenunterkünften am Rande der Industriestädte untergebracht, später zogen sie in die billigen Stadtquartiere. Die österreichische Wirtschaft brauchte ihre Arbeitskraft. An Integration dachte keiner. Irreführend wurden sie Gastarbeiter genannt, obwohl sie blieben. Irreführend nennt man ihre Kinder immer noch Ausländer, obwohl sie hier geboren wurden. Irreführend verlangt man Integration von ihren Enkelkindern, obwohl sie auch hier geboren wurden. Irreführend verlangt man Integration von denen, die an der gesellschaftlichen Teilhabe aktiv und absichtlich gehindert werden. Diese Irreführung wird nicht dadurch unterbrochen, dass die Verantwortlichen Teilhaben zulassen, und sich dafür einsetzen, die Anzahl der Migrantinnen und Migranten bei den städtischen und staatlichen Institutionen, sowie politischen Parteien, deutlich zu vergrößern (übrigens sind die Prozentsätze, die wir jetzt haben, eine Schande für eine Stadt, in der über 50% der Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund hat) – stattdessen müssen Migrantinnen und Migranten selbstbewusster und, so wie die Stadträtin Frauenberger in einem Wiener Vielfalt-Interview sagt, auch frecher werden.

Und ja, auch wir von Bum Media werden ab heute noch frecher sein. Denn wir werden bei der nächsten Integrationswoche einen sogenannten Partizipationsbericht vorstellen, in dem wir den Prozentsatz der Menschen mit Migrationshintergrund bei öffentlichen Institutionen erfassen. Denn anhand dieser Daten wird klar, wie bereit Österreich ist, seine neuen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu integrieren und sie werden klarstellen ob Diversität nur ein gern benutztes Wort in Reden österreichischer Verantwortlicher ist oder ob die Vielfalt wirklich lebt, Österreich wirklich ein Einwanderungsland und Wien eine Weltstadt ist.

Einen Teil der Weltstadt Wien stellen wir im Rahmen der Integrationswoche vor. Denn über 200 Veranstaltungen finden in ganz Wien statt, an Orten, die wir Stationen der Vielfalt nennen. Von Albertina, Belvedere und Haus des Meeres über das Jüdische Museum Wien, dem Kosmostheater und der Kunsthalle Wien bis hin zum Let’s CEE Film Festival, Werk X und dem Wiener Vorstadttheater – um nur einen Bruchteil unserer großartigen Stationen der Vielfalt zu nennen. Das sind Orte, an denen Wienerinnen und Wiener im Vordergrund stehen, unabhängig von ihrem Hintergrund. Orte an denen man nicht leiser sprechen muss, wenn man unpopuläre Sprachen wie Türkisch, Serbokroatisch oder Arabisch spricht. Dafür bin ich als Wiener und als Initiator der Wiener Integrationswoche sehr dankbar. Dankbar für unsere über 100 Kooperationspartner die auch heuer mehr als 200 Veranstaltungen im Zeichen der Wiener Vielfalt organisieren. Deshalb ein großes Dankeschön an alle, mit denen wir gemeinsam in den nächsten 11 Tagen die Wiener Vielfalt hochleben lassen dürfen.

Dankeschön auch an unsere Unterstützer AK Wien, AMS Wien, MA 17, NEOS, SPÖ Wien, VHS Wien, waff, Wiener Linien und Wirtschaftsagentur Wien.

Danke unseren Freundinnen und Freunden von Bezirkszeitung, Der Standard, Okto und Vienna Online, für die Möglichkeit, gute Nachrichten mit der Öffentlichkeit zu teilen.

Ich nutze auch die Gelegenheit, meinem Team zu danken: Danke Igor, Jürgen, Marcia, Michael, Ozzy, Sinisa, Shoshana und Tatjana.

Hiermit erkläre ich die 6. Wiener Integrationswoche für eröffnet und sage dazu:

Wien ist nicht nur Wien, Wien ist auch Bec, Wien ist auch Vienna und Wien ist auch Viyana. Wien ist auch alt, schwul, behindert, und vieles mehr. Und das ist schön so.

Es lebe die Vielfalt.

Hvala!

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